Mittwoch, 25. Februar 2015

Kinderwunsch und der Einbeinige

Mein Therapeut hat mal meinen Kinderwunsch mit der Amputation eines Beines verglichen.
So sehr man sich es auch wünscht, wenn man keine Kinder kriegen kann ist es so, ein Bein wächst auch nicht anch.
Man darf über den Verlust trauern, man soll auch.
Man muss lernen, mit dem Verlust zu leben, auch wenn es immer wieder schmerzt.

Ich habe mit dem Gedanken weitergespielt und ihn auf Situationen ausgeweitet, die ich in den letzten Jahren mit meinem Umfeld erlebt habe.

1. Ist doch nicht so schlimm, andere haben auch keine Kinder.
Würde man sagen: Ist doch nicht so schlimm, andere haben auch nur 1 Bein?

2. Du musst deine Lebensumstände/Gewohnheiten ändern, so klappt das nie.
Würde man sagen: Du bist selber Schuld, dass du Auto gefahren bist und bei einem Unfall dein Bein verloren hast?

3. Nimm dir den Druck aus dem Wunsch, ein Kind zu haben.
Kann man es einem Einbeinigen verübeln, dass er sich ein 2. Bein wünscht.

4. Bis doch nicht traurig, das Leben geht weiter.
Sag das mal zu jemandem, der gerade lernen muss, mit einem Bein durchs leben zu gehen.

5. Man hat gerade frisch die Diagnose, dass es schwierig bis unmöglich wird, ein Kind zu bekommen und/oder hatte gerade ein Abort. Nun findet ein Familienfest statt, an dem von der Schwangeren, über ein Säugling bis zu Kleinkindern alles vertreten ist. Ich will absagen, erkläre, das ich das momentan nicht ertrage. Antwort der Gastgeber: Ich bin sooo entäuscht das du nicht kommst. Du musst lernen, damit umzugehen. Du kannst dich ja an einen anderen Tisch setzen.
Würde man von einer jungen Frau die gerade ihr Bein verloren hat erwarten, dass sie an eine Modeshow kommt, an der lauter hübsche junge Frauen mit 2 wunderschönen Beinen über den Catwalk stolzieren, dass sie mitkommt, wenn sie es nicht erträgt?

5. Du musst halt dein Leben so einrichten, dass es Platz für ein Kind gibt.
Richte dein Leben so ein, dass es Platz gibt für ein 2. Bein, falls es nachwächst.

6. Künstliche Befruchtung? Muss das sein? Gott spielen?
Ein Einbeiniger würde alles dafür machen, dass sein Bein nachwächst, Auch wenn nur ein Fünkchen Hoffnung besteht.

7. Man kann nicht alles im Leben haben....
Sagt der der 2-Beinige oder die Mutter / der Vater von mind. 1 Kind....

8. Dafür hast du ein Haus/ein Mann /Pferde usw.
Das ändert nichts daran, dass man über den Verlust des Beines/Kindes trauert....

9. Anderen geht es schlechter wie dir...
Das finde ich das Totschlag-Argument schlecht hin... Da bin ich einfach sprachlos über so wenig Mitgefühl.

10. Bist du wirklich überzeugt, dass du ein Kind willst, oder beugst du dich dem gesellschaftlichen Druck?
Ok, jetzt ersetze das Wort Kind durch zweites Bein.... Hört sich doof an...

Mir ist klar, dass es fürs Umfeld auch nicht einfach ist. Wenn es einen nahestehenden Menschen betrifft, was sagen? Am meisten geholfen haben mir die Menschen, die mit mir geweint haben. Ich wusste, dass ihr Mitgefühl echt ist und sie verstehen, wie ich mich fühle. Auch tröstende Gesten (in den Arm nehmen, die Hand nehmen und drücken, Taschentuch reichen) helfen sehr. Doch versucht nicht die Tränen zu unterbrechen oder Hoffnung zu machen. Trauer muss sein und Hoffnung machen kommt falsch an. Seit einfach da. Wenn ihr nicht wisst was sagen, dann schweigt.

Es hat noch weitere Parallelen zwischen dem Kinderwunsch und dem Verlust eines Beines.

Mit der Diagnose bekommt man eine "Behinderung" mitgeteilt. D.h. man weiss, dass der Körper nicht so ist, wie es sich die Gesellschaft vorstellt. Man hadert. Die einen, die bereits eh schon Mühe hatten, ihren Körper anzunehmen mehr, wie die, die ihr Ausssehen perfekt finden. Aber alle haben Mühe. Man muss wieder Lernen, seinen Körper zu akzeptieren. Und hat evtl. einen Selbsthass auf sich. Das kann Jahre dauern. Darunter leidet auch sehr das Selbstvertrauen und auch die Sexualität. Dies wirkt sich auch aufs Umfeld aus, Beziehung, Job, gesellschaftliche Unternehmungen etc.

Ich hatte 2003 einen schweren Autounfall. Eingeklemmt bis zur Hüfte (Feuerwehr brauchte 1.5h bis sie mich bergen konnte), Von der Hüfte abwärts war alles gebrochen, und ich hatte eine Lungenembolie. Ich war 1 Monat bettlägrig, war 4 Monate im Rollstuhl und musste wieder laufen lernen. Es war unklar, ob ich jemals wieder ohne Krücken gehen kann.
Heute bewältige ich mein Leben wie jeder andere auch. Mir merkt niemand was an von dem Unfall. Das einzige, was noch daran erinnert, ist der versteifte Fuss und das genietete Knie, doch auch das fällt im Alltag nicht auf.

Jeder findet meinen Autounfall unheimlich schlimm und zeigt Mitgefühl.

Doch das Thema Kinderlosigkeit sehen sie dagegen als halt dumme Gebenheit, mit der man leben muss.

Ich leide tagtäglich mehr an der Kinderlosigkeit wie an den Verletzungen vom Autounfall.


2 Kommentare:

  1. Hey...
    gerade hab ich deinen Blog entdeckt. Gerade hab ich alle deine Beiträge durchgelesen.
    Mir tut es sehr leid, was dir passiert ist. Die Sache mit deinem Mann...die Sache mit dem positiven Test...dass es dich psychisch so sehr belastet...
    Auch ich kann dir nur sagen, du bist nicht allein. Wenn du willst nehm ich dich hier an dieser Stelle mal fest in den Arm.
    Auch mein Test war vor kurzem positiv - für gerade mal zwei Tage durfte ich mein Glück behalten. Dann war es vorbei.
    All deine Sorgen, Fragen und deine Mutlosigkeit kann ich verstehen.
    Und ja du hast völlig recht: Trauer, Tränen, vielleicht auch Abschied nehmen - all das, es muss sein. Ich bin meinen Besten von Herzen dankbar, dass sie mich trauern lassen...
    Ich finde es schön, dass du hier bist...für diesen Versuch wünsche ich dir von Herzen alles Liebe.

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